ACE-Studie: Wie Kindheitstraumata Gesundheit und Verhalten ein Leben lang beeinflussen

ACE-Studie (Adverse Childhood Experiences)

Die ACE-Studie (ACE = Adverse Childhood Experiences) ist eine Studie, in der über 17.000 Erwachsene der US-amerikanischen Bevölkerung bezüglich Traumatisierungen in der Kindheit und deren Folgewirkungen untersucht wurden. Die Studie zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Kindheitstrauma und der späteren Gesundheit der Betroffenen im Erwachsenenalter auf.

Die Ergebnisse der ACE-Studie sind mehr als deutlich: Es besteht ein direkter Zusammenhang von Kindheitstraumata und der späteren Gesundheit im Erwachsenenalter – sowohl psychisch wie auch körperlich. Je mehr Traumatisierungen die Betroffenen in ihrer Kindheit erlebt haben, desto größer ist der negative Einfluss auf die Gesundheit.

Im Folgenden findest du ein fünfminütiges Video, dass die Adverse Childhood Experiences-Studie sehr gut auf den Punkt bringt. Leider ist dieses nur auf Englisch verfügbar. Im Anschluss gehe ich im Detail auf die untersuchten Elemente und die wesentlichen Ergebnisse der ACE-Studie ein.

Was wurde in der ACE-Studie untersucht?

In der ACE-Studie wurden zehn Arten von Kindheitstraumata untersucht. Fünf Traumatisierungen beziehen sich dabei direkt auf die untersuchte Person (körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch, emotionaler Missbrauch, körperliche Vernachlässigung, emotionale Vernachlässigung). Die anderen fünf Traumatisierungen beziehen sich auf das familiäre Umfeld (häusliche Gewalt gegenüber der Mutter, Suchtmittel-Missbrauch im Haushalt, psychische Erkrankungen im Haushalt, Trennung / Scheidung der Eltern, Inhaftierung eines Familienmitgliedes).

Die 10 in der ACE-Studie berücksichtigten Kindheitstraumata

Im Folgenden sind die zehn in der ACE-Studie untersuchten Kindheitstraumata aufgeführt. Die Fragen (hier ins Deutsche übersetzt) wurden den Teilnehmern der Adverse Childhood Experiences-Studie gestellt. Alle Fragen beziehen sich dabei auf Ereignisse, die bis zum 18. Lebensjahr stattgefunden haben.

(1) Körperliche Misshandlung

„Hat dich ein Elternteil oder ein anderer Erwachsener im Haushalt oft oder sehr oft gepackt, geschlagen oder etwas nach dir geworfen oder so hart zugeschlagen, dass du Spuren davon getragen hast oder verletzt wurdest?“

(2) Sexueller Missbrauch

„Hat ein Erwachsener oder eine Person, die mindestens 5 Jahre älter war als du, dich angefasst oder begrapscht oder dich dazu gebracht, den Körper in sexueller Weise anzufassen oder hat oraler, analer oder vaginaler Sexualverkehr stattgefunden bzw. wurde dieses versucht?“

(3) Emotionaler Missbrauch

„Hat dich ein Elternteil oder ein anderer Erwachsener im Haushalt oft oder sehr oft beschimpft, beschuldigt, niedergemacht oder gedemütigt oder so gehandelt, dass du Angst hattest, körperlich verletzt zu werden?“

(4) Körperliche Vernachlässigung

„Hast du dich oft oder sehr oft so gefühlt als hättest du nicht genügend zu Essen, als müsstest du schmutzige Kleidung tragen oder hattest niemanden, der dich beschützt oder deine Eltern waren zu betrunken oder zu high um sich um dich zu kümmern oder um dich zu einem Arzt zu bringen, wenn es erforderlich war?“

(5) Emotionale Vernachlässigung

„Hast du dich oft oder sehr oft so gefühlt als ob dich niemand in deiner Familie liebt oder denkt, du wärst wichtig oder besonders oder deine Familienmitglieder haben sich nicht umeinander gekümmert, hatten keine Nähe zueinander oder haben sich nicht gegenseitig unterstützt?“

(6) Häusliche Gewalt gegenüber der Mutter

„Wurde deine Mutter oder Stiefmutter oft oder sehr oft geschubst, gepackt, geschlagen oder wurde sie mit etwas beworfen oder getreten, gebissen, mit der Faust oder mit einem harten Gegenstand geschlagen oder mehrfach für einige Minuten geschlagen oder mit einem Messer oder einer Schusswaffe bedroht?“

(7) Suchtmittel-Missbrauch im Haushalt

„Hast du bei jemandem gewohnt, der Alkoholprobleme hatte oder andere Drogen missbraucht hat?“

(8) Psychische Erkrankungen im Haushalt

„War ein Familienmitglied depressiv oder psychisch krank oder hat ein Familienmitglied einen Selbstmordversuch unternommen?“

(9) Trennung / Scheidung der Eltern

„Waren deine Eltern jemals getrennt voneinander oder geschieden?“

(10) Inhaftierung eines Familienmitgliedes

„War ein Familienmitglied im Gefängnis?“

Weitere Kindheitstraumata

Es gibt natürlich zahlreiche weitere Kindheitstraumata, wie beispielsweise das Mitbekommen eines Missbrauchs von einem Geschwister, der Verlust eines sehr nahestehenden Familienmitgliedes oder schwere Unfälle. Die ACE-Studie wurde jedoch auf die zehn häufigsten Kindheitstraumata beschränkt.

Der ACE-Score

Alle zehn Fragen mussten von den Studienteilnehmern beantwortet werden. Pro positiv beantworteter Frage, also pro Kindheitstrauma, erhält der Betroffene einen Punkt. Der Gesamtwert aller zehn Fragen ergibt den ACE-Score. Dieser Wert gibt die persönliche Vorbelastung bzgl. Kindheitstraumata an.

Die Ergebnisse der ACE-Studie

Die Ergebnisse der ACE-Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Kindheitstraumata kommen oft und in allen Bevölkerungsschichten vor
  • Traumatisierungen in der Kindheit haben einen deutlichen Einfluss auf die spätere Gesundheit
  • Je mehr Arten von Kindheitstraumata erlebt wurden, desto größer ist der negative Einfluss auf die spätere Gesundheit

Im Folgenden gehe ich detaillierter auf die Ergebnisse der ACE-Studie ein.

Häufigkeit von Kindheitstraumata

In der ACE-Studie weisen fast zwei Drittel der untersuchten Personen mindestens ein Kindheitstrauma auf (ACE-Score > 0). Bei 12,5 Prozent der Personen (jeder Achte!) bestanden sogar vier oder mehr Traumatisierungen in der Kindheit.

Die folgende Grafik stellt die Verteilung nach ACE-Scores dar.

Die am häufigsten vorgefundenen Kindheitstraumata sind körperliche Misshandlung (28,3%), Suchtmittel-Missbrauch im Haushalt (26,9%), Trennung / Scheidung der Eltern (23,3%) und sexueller Missbrauch (20,7%).

Die Häufigkeit nach Trauma-Art ist in der folgenden Grafik dargestellt.

Auswirkungen auf die Gesundheit

Die ACE-Studie belegt, dass vorhandene Kindheitstraumata sich deutlich auf die spätere Gesundheit im Erwachsenenalter auswirken. Wenn sechs oder mehr Traumatisierungen in der Kindheit vorliegen, verringert sich die Lebenserwartung sogar um durchschnittlich 20 Jahre.

Zu den negativen Gesundheitsfolgen gehören:

Erhöhtes Risiko:

  • zu Rauchen
  • des Alkohol- oder Drogenmissbrauchs
  • an Leber-, Herz- oder Lungenerkrankungen zu erkranken
  • an Depression und anderen psychischen Störungen zu erkranken
  • einen Selbstmordversuch zu begehen
  • einer Totgeburt
  • an unterschiedlichen Krebsarten zu erkranken
  • sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit anzustecken
  • Knochenbrüche zu erleiden
  • an einer Essstörung zu erkranken (v.a. Übergewicht)

Im Folgenden gehe ich auf einige der Gesundheitsfolgen im Detail ein.

Kindheitstrauma und Rauchen

Je mehr Kindheitstraumata erlebt wurden, desto größer ist das Risiko, später als Erwachsener zu Rauchen. Bei vier oder mehr vorliegenden unterschiedlichen Traumatisierungen in der Kindheit ist das Risiko bereits doppelt so hoch. Die Ursache hierfür liegt im toxischen Stress, welcher durch traumatische Erlebnisse entsteht. Betroffene versuchen mit Suchtmitteln den Stress zu kompensieren.

Kindheitstrauma und Alkoholmissbrauch

Alkohol dient wie das Rauchen als Bewältigungsstrategie, um den toxischen Stress abzubauen. Aus diesem Grund korreliert das Risiko des Alkoholmissbrauchs ebenso mit der Anzahl der Kindheitstraumata. Bereits bei zwei vorhandenen Arten von Traumatisierungen ist das Risiko des Alkoholmissbrauchs dreimal so hoch wie ohne Kindheitstrauma. Bei vier oder mehr vorliegenden Kindheitstraumata steigt das Risiko auf das Fünffache.

Kindheitstrauma und Lebererkrankungen

Alkohol- und Drogenkonsum sowie ungesundes Essverhalten sind oftmals Folge von Traumatisierungen in der Kindheit. Dieses wirkt sich schädigend auf die Organe aus. Das Risiko, an einer Lebererkrankung zu erkranken, steigt mit zunehmender Anzahl vorliegender Kindheitstraumatisierungen. Ab drei oder mehr Arten von Kindheitstraumata verdoppelt sich das Risiko.

Kindheitstrauma und Depression

Kindheitstraumata führen oftmals zu chronischen Depressionen. Je mehr Traumatisierungen in der Kindheit erlebt werden mussten, desto größer ist das Risiko, als Erwachsener unter chronischen Depressionen zu leiden. Bereits bei zwei vorhandenen Kindheitstraumata verdoppelt sich dieses Risiko – bei vier oder mehr Traumatisierungen vervierfacht es sich.

Kindheitstrauma und Selbstmordversuche

Auch Selbstmordversuche korrelieren unmittelbar mit der Anzahl der vorliegenden Traumatisierungen in der Kindheit. Bei drei Kindheitstraumata ist das Risiko bereits um das Fünffache erhöht. Bei vier und mehr vorliegenden Traumata steigt das Risiko auf das Acht- bis Neunfache.

Weitere Auswirkungen von Kindheitstrauma

Zusätzlich zu den gesundheitlichen Risiken gibt es weitere Spätfolgen von erlebten Kindheitstraumata. So steigen zum Beispiel die Risiken für:

  • Kriminelle Handlungen
  • Schlechtere Schulqualifikation
  • Probleme im Berufsleben
  • Finanzielle Probleme
  • Ungewollte Schwangerschaften
  • Vergewaltigung
  • Frühzeitigen Beginn zu Rauchen
  • Frühzeitigen Geschlechtsverkehr
  • Obdachlosigkeit

Im Folgenden gehe ich auf einige der genannten weiteren Auswirkungen im Detail ein.

Kindheitstrauma und Probleme im Berufsleben

Traumatisierungen in der Kindheit haben häufig auch Auswirkungen auf das spätere Verhalten als Erwachsener. So können Kindheitstraumata zum Beispiel dazu führen, dass spätere Probleme im Berufsleben entstehen.

Kindheitstrauma und Sexualverhalten als Teenager

Kindheitstraumata haben oftmals Einfluss auf das Sexualverhalten der Betroffenen im Teenager-Alter. Traumatisierte haben zum Beispiel häufiger Sex vor dem 15. Lebensjahr. Mit der steigenden Anzahl der Traumatisierungen steigt auch die Häufigkeit von Schwangerschaften im Teenager-Alter. Bei vier oder mehr vorliegenden Kindheitstraumata ist die Häufigkeit von Teen-Schwangerschaften doppelt so hoch wie bei Teenagern, die kein Trauma erlebt haben.

Kindheitstrauma und spätere Vergewaltigung

Das Risiko, als Erwachsener vergewaltigt zu werden, korreliert sehr stark mit der Anzahl der Traumatisierungen in der Kindheit. Bei vier oder mehr vorhandenen Kindheitstraumata ist das Risiko, als Erwachsener vergewaltigt zu werden, sechsmal so hoch.

Fazit und was wir aus der ACE-Studie lernen sollten

Die ACE-Studie zeigt sehr deutlich auf, wie stark unsere Gesundheit und unser Verhalten im Erwachsenenalter durch Kindheitstraumata geprägt werden können.

In den USA ist die ACE-Studie weitläufig bekannt und wird unter Fachleuten viel diskutiert. Landesweit entstehen immer mehr Kampagnen, welche die Bevölkerung über den Einfluss von traumatischen Kindheitserfahrungen aufklären und sensibilisieren.

In Deutschland ist die ACE-Studie hingegen (leider) weitestgehend unbekannt. Dabei können und sollten wir viel aus der Studie lernen. So könnten Präventions-Kampagnen beispielsweise dazu führen, zukünftige Traumatisierungen zu reduzieren. Die Aufklärung von Ärzten könnte dafür sorgen, dass nicht nur körperliche Symptome behandelt werden – wie dieses oftmals geschieht – sondern vermehrt auch nach eventuell vorliegenden Ursachen in der Kindheit Ausschau gehalten wird.

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