Komplexe PTBS / kPTBS – die komplexe posttraumatische Belastungsstörung

Komplexe PTBS (kPTBS)

Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (auch komplexe PTBS oder kPTBS) ist eine psychische Erkrankung, die sich in der Regel aufgrund von schweren oder wiederholten bzw. langanhaltenden Traumatisierungen in der Kindheit entwickeln kann. In diesem Beitrag erfährst du alles Wissenswerte über diese Erkrankung.

Krankheitsbild komplexe posttraumatische Belastungsstörung (komplexe PTBS / kPTBS)

Die amerikanische Psychiaterin Judith Herman war die erste, die den Begriff „komplexe PTBS“ für die auftretenden Störungen durch chronische Traumatisierungen vorgeschlagen hatte. Sie verwendete auch den Begriff „DESNOS“ (Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Speficied). Sie beschrieb, dass chronische Traumatisierungen in der Kindheit zu Veränderungen in den folgenden sechs Funktionsbereichen führen können:

  • Regulation von Affekten und Impulsen
  • Aufmerksamkeit oder Bewusstsein
  • Selbstwahrnehmung
  • Beziehung zu anderen
  • Somatisierung
  • Persönliche Bedeutungssysteme

Symptome

Die komplexe PTBS (kPTBS) kann sich recht vielfältig in der Symptomatik darstellen. Zusätzlich zu den drei Symptomen der klassischen PTBS bestehen weitere Symptome in den drei Bereichen Affekt (Emotionen), negatives Selbstkonzept und interpersonelle Probleme. Im Folgenden sind die sechs Kernsymptome der komplexen PTBS im Detail dargestellt.

Symptome der klassischen PTBS (Trauma-Trias)

(1) Intrusives Wiedererleben

Intrusives Wiedererleben äußert sich in Form von sich aufdrängenden, belastenden Erinnerungen an das Trauma in Form von Flashbacks oder Albträumen. Betroffene haben dabei das Gefühl, die traumatische Situation nochmals zu durchleben.

Bei der komplexen PTBS sind die sich aufdrängenden Erinnerungen häufig keine bildhaften Erinnerungen, sondern Gefühls- und/oder Körpererinnerungen.

(2) Vermeidungsverhalten

Traumatisierte neigen dazu, alles, was sie an das Trauma erinnert, zu vermeiden. Dieses können zum Beispiel Aktivitäten, Situationen oder Orte sein. Die Vermeidung ist auf lange Sicht kontraproduktiv, da sich die Symptome der PTBS verfestigen.

(3) Übererregung

Nach einem Trauma befinden sich Betroffene oft in einem Zustand ständiger und überhöhter Wachsamkeit (auch Hypervigilanz genannt). Dies äußert sich häufig in Form von Ängsten, übermäßiger Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit und Konzentrationsstörungen.

Zusätzliche Symptome bei der komplexen PTBS (kPTBS)

Bei einer komplexen PTBS (kPTBS) treten zusätzlich zu den Symptomen der klassischen PTBS weitere Symptome in den drei Bereichen Affekt (4), negatives Selbstkonzept (5) und interpersonelle Probleme (6) auf. Im Folgenden sind die möglichen zusätzlich auftretenden Symptome der komplexen PTBS dargestellt. Für das Vorhandensein einer komplexen PTBS muss aus jedem der drei Bereiche (4-6) mindestens ein Kriterium erfüllt sein.

(4) Affekt

(4a) Störungen der Emotionsregulierung

– Erhöhte emotionale Reaktivität
– Gewaltsame Emotionsausbrüche
– Rücksichtsloses oder selbstschädigendes Verhalten
– Tendenz zu längeren dissoziativen Zuständen unter Stress (siehe Symptome dissoziativer Störungen)

(4b) Emotionale Betäubung

(4c) Verminderte Fähigkeit, positive Emotionen zu erleben

(5) Negatives Selbstkonzept

(5a) Anhaltende Überzeugung, als Person minderwertig, machtlos und/oder wertlos zu sein

(5b) Tiefgreifende Schuld- und Schamgefühle

(6) Interpersonelle Probleme

(6a) Anhaltende Schwierigkeiten, emotionale Beziehungen aufrecht zu erhalten

(6b) Vermeidung von Beziehungen und sozialem Engagement oder geringes Interesse daran

Diagnose nach ICD-11

Im aktuell gültigen Diagnosehandbuch ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die Diagnose der komplexen PTBS (kPTBS) in der Gruppe der spezifisch Stress-assoziierten Störungen unter dem Code 6B41 vorzufinden.

Ursachen der komplexen PTBS (kPTBS)

Die Ursache für die komplexe PTBS sind in der Regel schwere oder wiederholte bzw. langanhaltende Traumatisierungen in der Kindheit. Zu diesen gehören zum Beispiel: psychische und körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch sowie emotionale und körperliche Vernachlässigung.

Eine komplexe PTBS kann auch bei Traumatisierungen im Erwachsenenalter auftreten, bspw. als Folge von Kriegserlebnissen, Flucht oder Folter.

Therapie der komplexen PTBS (kPTBS)

Die Störungsbilder der komplexen PTBS (kPTBS) sind sehr vielfältig und individuell. Aus diesem Grund sollte das Therapiekonzept auf jeden Betroffenen angepasst sein. Die Therapie sollte dabei nicht nur auf die bloße Reduzierung der Symptome abzielen, sondern auch den Aufbau von Selbstregulationsfähigkeiten und Ressourcen zum Ziel haben.

Heilbarkeit der komplexen PTBS (kPTBS)

Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung ist gut behandelbar und heilbar. Die therapeutischen Prozesse sind jedoch meist langwierig und ziehen sich in aller Regel über mehrere Jahre hin.

Therapiemethoden

Zur Behandlung der komplexen PTBS haben sich zahlreiche Therapiemethoden und Therapietechniken bewährt. Hierzu zählen zum Beispiel die folgenden:

  • Arbeit mit inneren Anteilen, z.B. Ego-State-Therapie oder Internal Family Systems (IFS)
  • PITT (Psychodynamisch Imaginative Trauma Therapie)
  • DBT (Dialektisch Behaviorale Therapie)
  • Somatic Experiencing (SE)
  • EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
  • Gestalttherapie
  • Kognitive Verhaltenstherapie

Behandlungsleitlinien der ISTSS

Die Arbeitsgruppe „Complex Trauma Task Force“ der International Society of Traumatic Stress Studies (ISTSS) hat auf Basis der relevanten Literatur und eines Expertenkonsensus Behandlungsleitlinien für die Behandlung der komplexen PTBS (kPTBS) bei Erwachsenen erarbeitet. Diese sollten Grundlage jeder Therapie sein.

Die Behandlungsleitlinie empfiehlt ein phasenorientiertes Vorgehen, das aus den drei Phasen Stabilisierung (1), Traumakonfrontation (2) und Neuorientierung (3) besteht. Im Folgenden sind die drei Phasen im Detail erläutert.

Phase 1: Stabilisierung

In der ersten Phase der Traumatherapie, der Stabilisierungsphase, sollen Betroffene soweit „gestärkt“ werden, dass sie bereit sind, sich in der anschließenden Phase mit den traumatischen Erinnerungen konfrontieren zu können.

Folgende Ziele sollen in der Stabilisierungsphase verfolgt werden:

  • Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung: Am Anfang der Therapie sollte der Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung im Vordergrund stehen. Sie ist Grundvoraussetzung dafür, dass eine Traumatherapie erfolgreich durchgeführt werden kann.
  • Psychoedukation: Betroffene sollen über das Störungsbild der komplexen PTBS und deren Auswirkungen, insbesondere auf die persönliche Entwicklung, den Lebensverlauf, die Weltanschauung und Beziehungen aufgeklärt werden.
  • Äußere Sicherheit: Befinden sich Traumatisierte weiterhin in einem bedrohlichen Umfeld, müssen gemeinsam Strategien erarbeitet werden, sich von diesem Umfeld zu lösen. Nur, wenn der Betroffene sich in Sicherheit fühlt, ist eine Traumaverarbeitung überhaupt möglich. Betroffene sollen darin bestärkt werden, ein unterstützendes soziales Umfeld aufzubauen (z.B. Freunde, Selbsthilfegruppen).
  • Stärkung der Emotionswahrnehmung und -regulierung: Betroffene sollen lernen, ihre Gefühle klarer wahrzunehmen und besser regulieren zu können.
  • Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes: Viele komplex Traumatisierte haben ein negatives Selbstbild. In der Stabilisierungsphase gilt es, dieses sukzessive in ein positives Selbstkonzept umzuwandeln.
  • Meditation und Achtsamkeit: Meditation und Achtsamkeit können den Therapieprozess deutlich unterstützen. Sie sind jedoch nicht alleine ausreichend für eine Therapie.

Phase 2: Traumakonfrontation

Die zweite Phase zielt auf das bewusste Wiedererleben und die Neubewertung der traumatischen Erlebnisse ab. Durch das Wiedererleben des Traumas im Rahmen einer sicheren Umgebung (der Therapie), können traumatische Erlebnisse neu bewertet und in die Biografie integriert werden. Ziel ist es, dass die traumatischen Erinnerungen nicht mehr überflutend wirken, sondern als „normale“ Erinnerungen im biografischen Gedächtnis abgespeichert werden.

Wirkt die Konfrontation mit traumatischen Ereignissen zu belastend, so ist es ratsam, immer wieder zur ersten Phase, der Stabilisierung, zurückzukehren, damit der Betroffene die für die Traumakonfrontation erforderliche Stabilität beibehält.

Phase 3: Neuorientierung

Die dritte Phase stellt den Übergang von der Therapie in das „Leben nach dem Trauma“ dar. Gegebenenfalls auftretende Sinnfragen werden geklärt und die Betroffenen dabei unterstützt, sich neu im Leben zu orientieren. Hierzu gehören zum Beispiel Pläne über Ausbildung, Beruf, Freizeit, Hobbys, soziale Aktivitäten und Beziehungen.

Begleiterkrankungen

Bezogen auf die klassische posttraumatische Belastungsstörung wurden die Begleiterkrankungen umfangreich untersucht. Laut dem National Comorbidity Survey aus den USA erfüllen 88% der Männer und 79% der Frauen mit PTBS die Diagnosekriterien mindestens einer weiteren psychiatrischen Störung.

Eine vorliegende depressive Episode wurde beispielsweise bei 48% der Männer und 49% der Frauen festgestellt. Gleichzeitiger Alkoholmissbrauch besteht bei 52% der Männer und 14% der Frauen, Drogenmissbrauch bei 35% der Männer und 8% der Frauen. Darüber hinaus treten oftmals auch Angststörungen auf. Hierzu gehören einfache Phobien (31% bei Männern, 15% bei Frauen), generalisierte Angststörungen (17% bei Männern, 8% bei Frauen) sowie die Agoraphobie (16% bei Männern, 8% bei Frauen).

Gemäß dem Canadian Community Health Survey besteht auch ein Zusammenhang zwischen PTBS und Rückenschmerzen und Fibromyalgie. Bei Personen mit PTBS beträgt die Häufigkeit gleichzeitig vorliegender Rückenschmerzen 46%. Bei gleichzeitig vorhandener Fibromyalgie beträgt die Häufigkeit 8%.

Häufigkeit

In der Langzeitstudie „Adverse Childhood Experiences“ wurden mehr als 17.000 Erwachsene der US-amerikanischen Bevölkerung bzgl. vorliegenden Kindheitstraumata befragt. In etwa zwei Drittel der befragen Personen gaben an, mindestens ein Kindheitstrauma erlebt zu haben (siehe Beitrag ACE-Studie: Wie Kindheitstraumata Gesundheit und Verhalten ein Leben lang beeinflussen).

Es liegen einige Studien zur Häufigkeit der komplexen PTBS vor, welche auf Basis der von Herman definierten DESNOS-Kriterien durchgeführt wurden. Bei Frauen, die sexuellen Missbrauch oder körperliche Misshandlung in der Kindheit erlebt haben, beträgt die Häufigkeit 50% (Roth et al., 1997). Bei Folteropfern wurde eine Häufigkeit von 66% festgestellt (Teegen und Vogt, 2002).

Komplexe PTBS (kPTBS) - Symptome, Ursachen, Therapie
Quellen:

Traumaberatung
(telefonisch, online oder vor Ort)

Traumatherapie München - Traumatherapie-Praxis Stephan Stahlschmidt
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